Den Hirten auf dem Feld, armen Menschen am Rande der Gesellschaft, wurde die Rettung verkündet. Im Lukasevangelium heißt es dazu:
In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat der Engel des Herrn zu ihnen und der Glanz des Herrn umstrahlte sie. Sie fürchteten sich sehr, der Engel aber sagte zu ihnen:
„Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt. Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: Ehre Gott in der Höhe / und auf Erden ist Friede / bei den Menschen seiner Gnade.“ (Lk 2, 8-14)
In vielfacher Hinsicht können uns die Hirten herausfordern.
Drei Haltungen können wir von ihnen lernen: Warten, Wachen, Wagen.
Warten
In der vorweihnachtlichen Zeit warten wir auf das Ankommen des Herrn in der Gestalt des Kindes von Betlehem. Der große Gott macht sich ganz klein und wird ein Mensch. In unserer Ungeduld müssen wir das lernen, dass Mensch werden, Zeit braucht; Zeit nicht im Sinne einer Frist, sondern Zeit im Sinn von erfüllter Zeit. Gerade in einer immer schneller werdenden, hektischen Welt fehlt uns zunehmend das Verständnis dafür, dass die Dinge auch dauern müssen, um bleiben zu können. Wenn wir nicht im nächsten Augenblick wieder verschwinden wollen, dann braucht es einfach Zeit und Geduld.
Advent ist eine Zeit der Erwartung. Das heißt eben auch, dass sich im Warten eine Hoffnung erfüllt, eine Hoffnung die auf die Ankunft des göttlichen Kindes in uns zielt: Advent als die Zeit des Wartens in Geduld und Ausdauer. Die Zeit eines Weges, den wir nicht einfach abkürzen können, sondern den wir gehen müssen, um anzukommen. Und so gehen wir durch diesen Advent und üben vielleicht den einen oder anderen schönen Brauch in dieser Zeit, der uns helfen mag, zu unserer Mitte zu finden. Zu vielen guten Adventbräuchen haben sich aber leider auch eine Menge Bräuche gesellt, die mit dem Warten auf die Ankunft des Herrn nichts mehr zu tun haben, die zu Besinnungslosigkeit und in den Rausch – in den verschiedensten Bedeutungen dieses Wortes! – führen. Wählen wir aus, was uns gut tut.
In Erwartung sein bedeutet, dass man guter Hoffnung ist. In der guten Hoffnung kommt Gott bei uns Menschen an. Advent ist die Zeit der Erwartung und der Botschaft Gottes, die einem jeden von uns sagen will: Du bist ein geliebter Mensch! Cyprian von Karthago (+ 258) hat das in seiner Schrift „Vom Segen der Geduld“ so ausgedrückt:
„Das heilbringende Gebot unseres Herrn und Meisters lautet: Wer bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet; und: Wenn ihr in meinem Worte bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien. Man muss ertragen und durchhalten, liebe Brüder. Dann finden wir Zugang zur Hoffnung auf Wahrheit und Freiheit und gelangen zu Wahrheit und Freiheit selbst. Denn dass wir Christen sind, ist eine Sache von Glaube und Hoffnung; damit aber Glaube und Hoffnung ihr Ziel erreichen können, ist die Geduld notwendig.“ (Lektionar 2/1, S. 36f.)
Geduld kann warten … und Warten braucht Geduld!
Wachen
Die Zeit des Advents fordert uns auf, wach, nüchtern und kritisch zu bleiben. Den Christen wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder vorgeworfen, dass sie nicht wach waren, dass sie so manche gesellschaftliche Entwicklung einfach verschlafen haben, ja dass sie so sehr auf ein Jenseits schielten, dass sie das Mitgestalten dieser Welt und die Verantwortung für diese Welt nicht wirklich ernst nahmen. Jede Religion kennt Praktiken wie Meditation, Gebet oder Musik. Das kann natürlich auch zum Wegschauen, zum Verdrängen oder zur Flucht aus der Welt führen. Erlebt man nicht gerade auch oft uns Mönche als Weltflüchtige? Dies kann aber auch dazu führen, dass Gläubige sich in neuer Weise dem Geschehen in der Welt zuwenden und ihre Verantwortung für die Welt wahrnehmen. „Kampf und Kontemplation“ lautete etwa das Motto des Gründers der Brüdergemeinschaft von Taizé, Roger Schutz. Das Markusevangelium sagt es deutlich:
Seht euch vor, und bleibt wach!
Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.
Es ist wie mit einem Mann,
der sein Haus verließ, um auf Reisen zu gehen:
Er übertrug alle Verantwortung seinen Dienern,
jedem eine bestimmte Aufgabe;
dem Türhüter befahl er, wachsam zu sein.
Seid also wachsam!
Denn ihr wisst nicht, wann der Hausherr kommt,
ob am Abend oder um Mitternacht,
ob beim Hahnenschrei oder erst am Morgen.
Er soll euch, wenn er plötzlich kommt,
nicht schlafend antreffen.
Was ich aber euch sage, das sage ich allen:
Seid wachsam!
(Mk 13, 33-37)
Jesus mahnt uns also zur Wachsamkeit. Als Wartende sollen wir weder vor uns hindösen noch in Rauschzustände flüchten. Wir sollen kritisch auf das schauen, was sich in der Welt ereignet, und überlegen, was das zu bedeuten hat. Wir warten im Advent auf die Ankunft des Messias in unserer Gegenwart, in unserer kleinen persönlichen Welt, aber auch in der großen, deren Entwicklungen uns Sorge oder gar Angst bereiten. Wie die Christen damals so dürfen auch wir heute Hoffnung haben. Nicht, weil schon nichts passieren wird, weil sich doch sicher alles wieder einrenken wird oder weil die Welt trotz aller Ängste bisher doch nicht untergegangen ist, sondern weil wir Gott vertrauen, dass er seine geliebten Töchter und Söhne nicht untergehen lässt. Auch die „letzte Generation“?
Die Mahnung, wachsam und kritisch zu sein, gilt auch uns. Auch wir sollen ein lauteres und aufrechtes Leben führen, wie es Menschen ansteht, die nicht der Verzweiflung ausgeliefert sind. Ephräm der Syrer (+373) formuliert es in seinem Kommentar zum „Diatessaron“ so: „Die Wachsamkeit, die der Herr gebietet, gilt dem ganzen Menschen: dem Leib, dass er sich vor der Verschlafenheit hüte, der Seele, dass sie weder Betäubung noch Ängstlichkeit zulasse, wie die Schrift sagt: Seid wachsam, ihr Gerechten, und sündigt nicht! Und: Ich bin aufgewacht und bin noch immer bei dir. Daher erlahmt unser Eifer nicht in dem Dienst, der uns durch Gottes Erbarmen übertragen wurde.“ (Lektionar 2/1, S. 31.)
Wagen
Advent ist nicht nur eine Zeit des Wartens und Wachens, sondern auch eine Zeit des Wagens und des Handelns. Alle guten Gedanken nützen letztlich nichts, wenn wir sie nicht in die Tat umsetzen. Oder wie es Erich Kästner in seinem Gedicht „Moral“ treffend auf den Punkt gebracht hat: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Dazu braucht es Mut, dies umzusetzen. Viel zu oft sind wir einfach feig, verstecken uns und treten nicht dort auf – und dafür ein – wo es notwendig wäre … mag es nun aus Angst oder Gleichgültigkeit sein. Bei Jesaja werden wir zum Neuanfang ermutigt, wenn es im 40. Kapitel heißt:
Tröstet, tröstet mein Volk,
spricht euer Gott.
Redet Jerusalem zu Herzen
und verkündet der Stadt, dass ihr Frondienst zu Ende geht,
dass ihre Schuld beglichen ist;
denn sie hat die volle Strafe erlitten von der Hand des Herrn
für all ihre Sünden.
Eine Stimme ruft:
Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste!
Baut in der Steppe eine ebene Straße für unseren Gott!
Jedes Tal soll sich heben, jeder Berg und Hügel sich senken.
Was krumm ist, soll gerade werden,
und was hüglig ist, werde eben.
Dann offenbart sich die Herrlichkeit des Herrn,
alle Sterblichen werden sie sehen.
Ja, der Mund des Herrn hat gesprochen.
(Jes 40,1-5)
Es hat die Christen aller Zeiten fasziniert, wie Gott in diese Welt kommt. Unzählige Künstler haben dieses Warten auf das Ankommen Gottes in unserer Welt dargestellt … die Verkündigungsszene in all ihren zahllosen Varianten! Immer wieder wurde diese große Sehnsucht ausgedrückt: Das Warten, das Wachen und das Wagen.
Ein inneres Gefestigtsein, ein gediegenes Stehen im Leben, ein solidarisches und gegenseitiges sich Stützen in der Gesellschaft und nicht zuletzt ein festes Stehen in Gott: das wären die Stabilitätskriterien, die es heute neben dem Warten, dem Wachen und dem Wagen in einem Advent bräuchte.
Ich wünsche Euch allen, dass Ihr den Advent, diese Zeit des Wartens, des Wachens und des Wagens, fruchtbar machen könnt. Dass Euer Leben nicht von Sterilität oder Unergiebigkeit beherrscht wird, sondern dass Ihr dem Herrn einen Weg durch die Wüste dieser Zeit bahnen könnt, eine ebene Straße zu Gott.
Ich wünsche Euch, dass Ihr diese Zeit des Advent auch als eine verlässliche Zeit erfahren dürft, dass Ihr auf einem gediegenen Fundament stehen könnt und bei allem Wandel der Zeit eine Kontinuität verspüren dürft, die uns zwar nicht vor der Unsicherheit bewahrt, die aber Mut macht, die Gegenwart zu bejahen.
Und dass Ihr selber dabei erahnen und erfahren dürft: Gott kommt an … auch in dieser Welt. Nein, wir müssen als Glaubende nicht besser oder erfolgreicher werden, sondern einfach nur – wie unser Gott selbst! – gütiger, barmherziger und menschlicher!
Ich wünsche Euch allen und Euren Lieben eine gesegnete, gnadenreiche, erfüllte, unbelastete und unbeschwerte Weihnachtszeit!