10. Februar 1614, Rosenmontag, später Nachmittag: Im Carabinierisaal wird ein musiktheatralisches Werk dargeboten:
„… Nach solchem [i.e. Fasnachtumzüge-und spiele am Residenz-Platz] ist zu Hof ein schönes Pastoral, Orfeo genannt, gehalten worden, welchem die Herrn Cauallieri und das adeliche Frauenzimmer beygewohnt haben, ist musicalisch agirt worden, lustig zu sehen und hören gewesen“, schrieb Johannes Stainhauser, fürsterzbischöflicher Sekretär und Historiograph. Er ahnte wohl nicht, dass er damit eine musikhistorische Sensation notierte – die erste Opernaufführung nördlich der Alpen!
Salzburg war damit die erste Stadt außerhalb Italiens, in der die neue Gattung „Oper“ Einzug hielt.
TIPP: Führung mit Musik am SO 11.2. um 15 Uhr
Im Rahmen der Führung präsentieren der renommierte Tenor Virgil Hartinger und Sophie Esterbauer an der Theorbe (Schalenhalslaute) Ausschnitte aus Claudio Monteverdis „L‘Orfeo“ sowie aus Francesco Rasis Sammlung „Musiche da camera e chiesa“, die er Fürsterzbischof Marcus Sitticus gewidmet hat.
Johannes Stainhauser hat, wie damals nicht unüblich, den Namen des Komponisten nicht überliefert.
Was spricht dafür, dass es sich bei dieser historischen Opernaufführung um Claudio Monteverdis L’Orfeo gehandelt hat?
Unter anderem einmal die enge persönliche Beziehung von Fürsterzbischof Marcus Sitticus (reg. 1612-1619) zum Mantuaner Hof der Gonzaga. Hier fand ein paar Jahre zuvor – auch an einem Rosenmontag – die Orfeo-Uraufführung statt.
Und dann die Anwesenheit von Mantuaner Hofmusikern in Salzburg – darunter Francesco Rasi, der erste Orfeo der Mantuaner Uraufführung, sowie Francesco Campagnolo, der zweite bedeutende Tenor dieser Zeit.
Rasi und Campagnolo standen mit Monteverdi in engster Verbindung, und nahmen in der Vermittlung der neuen italienischen Musik eine Schlüsselposition ein, spielten eine zentrale Rolle in der Frühzeit der Oper. Beide dürften auch wichtige Berater des Salzburger Fürsterzbischofs gewesen sein.
Während der Regierungszeit von Fürsterzbischof Marcus Sitticus gab es nachweislich mehrere Orfeo-Aufführungen, zuletzt am 16. Juli 1619 anlässlich des Besuchs von Erzherzog Ferdinand (1578-1637), nachmals Kaiser Ferdinand II., der sich auf der Durchreise zur Kaiserwahl nach Frankfurt befand.
Francesco Rasi: Sänger, Dichter, Komponist und – Mörder
Francesco Rasi (1574-1621) war einer der bedeutendsten Operntenöre des frühen 17. Jahrhunderts – Komponist, Lautenist und Dichter, der in enger Beziehung zu Claudio Monteverdi stand.
Er war aber auch eine der schillerndsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Er ermordete in der väterlichen Villa in Arrezo den Gutsverwalter, in dessen schöne, junge Frau er sich verliebt hatte, und versuchte auch, seine Stiefmutter zu töten.
Rasi wurde zum Tode verurteilt, entging der Vollstreckung des Todesurteils aber, indem er flüchtete. An der Seite von Vincenzo Gonzaga reiste er durch halb Europa.
Vincenzo Gonzaga besuchte Fürsterzbischof Marcus Sitticus im Herbst 1612. Er befand sich auf der Rückreise von Prag, wo er dem neugewählten Kaiser Matthias seine Aufwartung gemacht hatte.
In Vincenzos Entourage befand sich auch Francesco Rasi, der die Heimreise wegen einer Erkrankung allerdings erst später antreten konnte.
Im Dezember 1612 hielt er sich jedenfalls in Salzburg auf und widmete Marcus Sitticus mit Musiche da camera e chiesa eine Sammlung mit elf geistlichen und weltlichen Werken im stile nuovo, die zu den frühesten außerhalb von Italien überlieferten Beispielen monodischer Musik (=instrumental begleiteter Solo-Gesang) zählen.
In der Widmung bezeichnete sich Rasi als „untertäniger und langjähriger Diener“ des Fürsterzbischofs.
Francesco Rasi vermittelte auch die Bühnentechnik in der Salzburger Residenz. So entstand ein Hoftheater nach italienischem Vorbild, ein mobiler Theaterraum mit einer zentral ausgerichteten modernen Verwandlungsbühne, die einen raschen Szenenwechsel ermöglichte und auch in anderen Räumen der Residenz, vor allem im Rittersaal, genutzt werden konnte.
Das Engagement italienischer Künstler wurde nicht von allen gutgeheißen. Auch die Anwesenheit des Fürsterzbischofs bei Theaterproben fand so mancher unschicklich, nicht zuletzt sein eigener Bruder, Graf Kaspar von Hohenems (1573-1640), der mit gerümpfter Nase anmerkte: „… viele reden übel von dem großen Geld, so ungespart welschen Musicanten, Comedianten und dergleichen Leuten angehängt wird, und wann sie nit selbst kommen, sogar beschickt werden, und daß eine fürstliche Person wider ihre Reputation selbst große Zeit mit Präparierung solcher Comedien unter diesem Gesindel zubringe…“
Marcus Sitticus war aber nicht nur der erste Fürst außerhalb Italiens, der neue musikdramatische Unterhaltungsformate aus dem Süden an seinen Hof holte. Er brachte auch öffentliche Feste venezianischer Art nach Salzburg.
Wenn das DomQuartier im August ein großes venezianisches Fest feiert, ist das nicht zuletzt auch eine Homage an den fortschrittlichen Fürsterzbischof, dessen Geburtstag sich zudem im Juni zum 450. Male jährt.
Claudio Monteverdi (1567 – 1643), „L’Orfeo“, 1. Akt, Rosa del ciel (Arie des Orfeo)
Virgil Hartinger (Tenor) und Sophie Esterbauer (Theorbe) im Carabinierisaal – Ein Auszug aus der Probe
Pfingsten 2023 in Salzburg – „Orfeo“ allerorten!
Wir freuen uns sehr, dass Mitglieder des Ensembles, das Claudio Monteverdis Orfeo bei den Pfingstfestspielen 2023 in Salzburg präsentierte, jenem Ort einen Besuch abstatteten, an dem vor 409 Jahren mit der Aufführung des „schönen Pastoral(s), Orfeo genannt“ Musikgeschichte geschrieben wurde. Denn der Orfeo, der am 10. Februar 1614 im Carabinierisaal der Residenz zu Salzburg in Szene gesetzt wurde, gilt als erste Opernaufführung nördlich der Alpen.