Der Pfennig der Witwe

Literarische Bezüge prägen viele Bilderzählungen des bedeutenden Wiener Genremalers. Mit ausgeprägter Beobachtungsgabe und satirischen Überzeichnungen appelliert er an das Moralempfinden seiner Zeitgenossen.
Vermutlich hat sich der Künstler hier von zwei Textstellen des Neuen Testaments inspirieren lassen. „Vom Almosen“ (Mt. 6, 1–4): „… Wenn du also Almosen gibst, so posaune es nicht vor dir her, wie es die Heuchler in den Synagogen und auf den Gassen tun, … sowie „Das Opfer der Witwe“ (Mk.12, 41–44; Lk. 21,3–4): „… Diese arme Witwe hat mehr als alle anderen in den Opferkasten hineingeworfen. Denn die anderen haben nur von ihrem Reichtum hergegeben, sie aber, die nur das Nötigste zum Leben hat, hat alles gegeben, was sie besaß, …“.
Umgesetzt in die Bildsprache demonstriert ein wohlbeleibtes, teuer ausstaffiertes Paar seine heuchlerische Mildtätigkeit. Aufmerksamkeit heischend wirft der Mann Münzen in die blecherne Kassa eines unterwürfig buckelnden Kirchendieners. Von der prächtigen Robe der Ehefrau in den Hintergrund gedrängt, hält eine Witwe ihren kleinen Sohn an, einem blinden Bettler ein Geldstück zu geben. Die wahre Barmherzigkeit der selbst vom Leid getroffenen Witwe wird durch das Kreuz an der Wand verdeutlicht. Unmissverständlich in Miene und Körperhaltung mit karikaturhaften Zügen, stellt er die Gegensätze drastisch gegenüber, sowohl in räumlicher als auch in koloristischer Hinsicht mit akribischer Detailerfassung. Mehrere Entwurfszeichnungen veranschaulichen den Prozess der Bildfindung. Zu nennen ist u.a. eine datierte aquarellierte Studie von 1836, Wien Museum, Inv. Nr. 18.439, sowie eine weitere aquarellierte Kompositionszeichnung von 1838 in der Albertina Wien, Inv. Nr. 5.116.

OEHRING Erika: Danhauser Josef, Der Pfennig der Witwe, in: DUCKE Astrid, HABERSATTER Thomas, OEHRING Erika: Meisterwerke. Residenzgalerie Salzburg. Salzburg 2015, S. 142