Innenansicht der Nieuwe Kerk in Delft
Emanuel de Witte (um/c. 1617 - 1692)
Rahmenmaß 100,2 x 88,1 x 5,5 cm
Wie die Architekturdarstellungen der Antwerpener Schule sind auch die in Holland entstehenden Kircheninterieurs eine Malerei für exklusive Sammler. Wenige Jahrzehnte nach der Abspaltung der überwiegend calvinistischen Nordprovinzen von den zum Katholizismus zurückgekehrten Südprovinzen, entwickelt sich im protestantischen Norden eine spezifische Architekturmalerei zu einem eigenständigen Bildthema.
Die Neue Kirche in Delft ist die Grablege des Hauses von Oranien-Nassau und als Monument der Republik von politischer Bedeutung. De Wittes Innenansicht entsteht erst 1664 in Amsterdam. Aufbau und Komposition sind vergleichbar mit mehreren Versionen der Ansicht. Der Blick fällt in das von einem hölzernen Tonnengewölbe bedeckte südliche Seitenschiff mit dem teils durch eine Säule verdeckten Grabmal für Wilhelm I. (1533–1584). Das Monument für den als Freiheitskämpfer und Gründer der Republik hochverehrten Oranier ist mit Obelisken, Fahnen und Wappen geschmückt.
Die asymmetrische Anlage der Komposition mit Schrägsicht durch die wuchtigen Säulen und die geringe Distanz tragen bei zu einem spannungsvollen Raumgefüge. Zudem bewirken knapper Bildausschnitt und das Spiel des Lichtes die Illusion des Momentanen, wie sie unseren heutigen Sehgewohnheiten bestens vertraut ist. Meist führt eine Rückenfigur mit rotem Mantel die Betrachter gleichsam in das Bild hinein. Betende, Schubkarren und ausgehobene Gräber vereinen Sakrales und Profanes.
Wittes zahlreiche Gemälde, die den Kirchenraum als Ort der Glaubensvermittlung schildern, werden in zeitgenössischen Inventaren zumeist „Predigten“ (die reformatorische Konzentration auf das Wort Gottes) genannt und damit von den übrigen als „Perspektiven“ bezeichneten Architekturbildern unterschieden.
OEHRING Erika: Witte Emanuel de, Innenansicht der Nieuwe Kerk in Delft, in: DUCKE Astrid, HABERSATTER Thomas, OEHRING Erika: Meisterwerke. Residenzgalerie Salzburg. Salzburg 2015, S. 62